Nach der Rückkehr aus meinen Kletterabenteuern in den USA, hatte ich einen Plan und eine Strategie im Kopf formuliert, wie ich den Eiskletter-Worldcup in Saas Fee gewinnen könnte. Ich war innerlich motiviert und die Trainingserfolge stimmten mich positiv. Um mich maximal zu fokussieren, hatte ich mich entschieden, keine SAC-Selektionswettkämpfe zu bestreiten. Ich wollte unter dem Radar bleiben und die 6 Wochen, die ich zur Verfügung hatte, dem Training widmen.
Zwei Wochen vor Saas Fee nahm ich am Swiss Cup in Malbun teil und gewann den ersten Platz. Obwohl mich das Resultat freute, fühlte ich mich mental nicht in meiner Bestform. Ich wusste, da fehlte noch ein Baustein, um in Saas Fee erfolgreich zu sein. Also holte ich Rat bei einer Mentaltrainerin. Sie gab mir die Empfehlung, die zwei Wochen vor dem Wettkampf nicht zu arbeiten und nicht zu trainieren, sondern mich auf die Erholung zu konzentrieren. Ich sollte maximal noch zwei Trainingseinheiten durchführen. Erst fühlte sich das nicht so einfach an. Als erstes zog ich mich in mein altes Zuhause zurück. Ich machte Spaziergänge und beschäftigte mich mit kleineren Tätigkeiten wie Holz spalten und Schnee räumen, um mich abzulenken. Aber nach ein paar Tagen kehrte eine innere Ruhe ein und da realisierte ich, dass es im Training auch Vitamin N braucht. Man muss auch Nein zum Training sagen können. Kurz vor dem Wettkampf setzte ich nochmal mit 2 Trainingseinheiten an und merkte, wie ich innerlich ruhig und erholt war.
Und mit dieser Portion Vitamin N kletterte ich in Saas Fee wie von magischer Hand und fast ohne Anstrengung von der ersten bis zur letzten Minute zum Sieg. Ich fühlte mich nach dem Sieg euphorisch und hatte Lust auf mehr. Als mich der Livestream-Moderator dann frage, ob man mich am wichtigsten Wettkampf in Denver, Colorado, sehen würde, bejahte ich das mit einem Lächeln und ohne gross zu überlegen.
Eine Woche später aber hatte ich meine Perspektiven bereits geändert: Ein alpines Projekt hatte nämlich meine volle Aufmerksamkeit gefangen. Es ging um eine Winterbegehung und so verzichtete ich auf die Tickets nach Denver. Ich startete also mein alpines Projekt drei Tage früher als geplant. Es stellte sich jedoch nach einem Tag und 16 Stunden heraus, dass die Bedingungen ein Gelingen verunmöglichten. Zuhause angekommen, überlegte ich mir, was ich als nächstes anstellen könnte. Und da realisierte ich, dass in 8 Stunden am kommenden Morgen der Flug nach Denver gehen würde. Kurzentschlossen reiste ich nach Zürich Flughafen und gönnte mir als erstes, als ich endlich im Flugzeug war, 3 volle Stunden Schlaf. Als ich wieder aufwachte, stand das Flugzeug immer noch da, weil ein technisches Problem die Verriegelung einer Türe verhindert hatte: Ein Grund mehr, um mich mit viel Schlaf zu erholen. Gut ausgeruht reiste ich entsprechend zwei Tage vor dem Wettkampf in Denver an.
Wie ich so bin, habe ich mir vor dem Wettkampf ein grösseres Outdoor-Projekt angelacht. Oder sagen wir es mal so, ich habe das dann als Vorbereitung für den Eiskletter-Weltcup abgebucht. Es waren nämlich meine Freunde aus Denver, die mit mir in ein Gebiet in Vail namens „The Fang Amphitheater“ fuhren. Dort angekommen hat mich die Mixed Route „Saphira“ sofort in ihren Bann gezogen. Sie war damals mit M15- eine der schwierigsten Routen in Nordamerika. Weil ich meine Drytooling-Schuhe für den Wettkampf unbedingt schonen wollte, stieg ich mit Bergschuhen und Monozacken-Steigeisen in die Route ein. 1 Stunde und 20 Minuten später war ich am Stand und hatte „Saphira“ onsight geklettert.
Denver war für mich der letzte Wettkampf der Saison und meine Motivation war vor allem, die vielen Kletterer persönlich zu treffen, mich mit ihnen austauschen und eine gute Zeit zu haben. Ich war beeindruckt von der Veranstaltung aber etwas weniger von meiner Leistung im Halbfinal. Ich landete auf Platz 7 von 8 Plätzen, um es ins Finale schaffen. Ich dachte mir, dass das jetzt nochmals meine Chance war, alles zu geben.
Als ich zum ersten Griff ansetzte, fühlte ich mich mental und körperlich in bester Energie und kam schnell in einen Flow-Zustand. Vor dem Schlusszug zum Umlenker atmete ich nochmals tief ein und wusste, jetzt konnte mich nichts mehr bremsen. Ich setzte zum Sprung an und spürte, wie mein Eisgerät präzise und sicher den letzten Griff erwischte. Ich war in diesem Moment überglücklich, weil ich ruhig, entschlossen und mit einer positiven Einstellung geklettert war und sich somit der Erfolg von selbst aufgebaut hatte.
Abschliessend muss ich sagen, dass die gesamte Wettkampfsaison für mich sehr lehrreich gewesen ist. Wie bereits erwähnt habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie wichtig im Training aber auch beim Wettkampf Vitamin N ist. Aber auch bei anderen Aktivitäten wie die Arbeit oder das Reisen sollte man nur zur intrinsischen Motivation Ja sagen und sich nicht unnötigem Druck aussetzen. Das bedeutete für mich zum ersten Mal Grenzen zu setzen, Ruhephasen einzubauen, auf meine Intuition zu hören und nicht immer Ja zu sagen. Am Anfang fiel es mir etwas schwer, aber mit den Erfolgen, die sich einstellten, merkte ich, wie wichtig es ist, Nein sagen zu können. Als Jahresabschluss und so als Sahnehäubchen, habe ich mir dann noch den Jugendweltmeister-Titel in Finnland geholt.