West-, Süd- und Ostgrat in neuer Bestzeit
„Yannick Glatthard und Simon Wahli klettern West-, Süd- und Ostgrat am Salbitschijen in einer neuen Rekord-Zeit von 5 Stunden und 53 Minuten.“
Der Salbitschijen mit seinen drei Graten fasziniert Kletterer weit über die Schweizer Grenzen hinaus. Für die meisten ist es bereits ein Erfolgserlebnis, einen der drei Grate an einem Tag zu bewältigen, insbesondere den längsten und anspruchsvollsten, den Westgrat. Zusammen zählen sie rund 70 Seillängen und über 1500 Klettermeter, die sich über Türme und Scharten in verschiedene Himmelsrichtungen ziehen. Es erstaunt nicht, dass sich die besten Kletterer mit Speed-Besteigungen an diesen Touren messen.
Erst im Juni 2023 wurde der jüngste Rekord von 9 Stunden und 36 Minuten von Dani Arnold aufgestellt. Die Leistung vom Urner Bergführer und Profikletterer hat auch Yannick Glatthard und Simon Wahli inspiriert, ihre Fähigkeiten in diesem Gelände zu testen. Sie wollten es aber als Team probieren.
„Wir wussten aus gemeinsamen Touren, dass wir als Team schnell und effizient klettern. Bei der Salbit-Trilogie konnten wir diese Fähigkeit in die Tat umsetzen.“
Simon Wahli war als Kletterer und Bergführer mit dem Gebiet vertraut. Schon einige Male hatte er die Grattouren geklettert oder Gäste über die Türme geführt. Für Yannick waren insbesondere die Grattouren neu und so entschieden sie, am 2. und 3. Oktober die drei Touren zu rekognoszieren. Damit wollten sie ihre Idee validieren, ob sie eine Chance hatten, als Team eine neue Bestzeit aufzustellen.
Am Montag, 2. Oktober kletterten Simon und Yannick den gesamten Ostgrat und die obere Hälfte des Südgrates, und zwar von der Zahnscharte bis zur Nadel.
Der Dienstag, 3. Oktober wurde dem Salbit-Westgrat gewidmet. Dieser ist von der Schwierigkeit, Länge und den technischen Anforderungen der anspruchsvollste. Gleich im Anschluss, kletterten sie den unteren Teil des Südgrats. Für die heiklen Kletterpassagen wurde Technik und Strategie im Vorfeld besprochen und entschieden, um später die maximale Sicherheit bei minimalem Zeitverlust sicherzustellen.
Nach diesem Testlauf fühlten sich beide optimistisch. Das Timing passte, denn im Oktober wagen sich weniger Seilschaften an diese langen Touren. Die Wetterprognosen waren stabil und beide fühlten sich nach den vielen Klettertagen im Sommer und Herbst fit und routiniert.
„In der Hütte wussten alle, dass wir es versuchen wollten, aber niemand hat es ausgesprochen. Wir haben dennoch so viel Unterstützung und positive Energie bekommen, dass wir in den besten Voraussetzungen in unser Vorhaben starten konnten.“
Am Donnerstag, 5. Oktober stiegen Simon und Yannick zur Salbithütte mit der Absicht, am nächsten Tag alle drei Grate so schnell wie möglich zu klettern.
Um 7.55 verliess die Seilschaft die Hütte, um als erstes den Westgrat in Angriff zu nehmen. Über diesen Grat mit seinen 6 Türmen kletterten die zwei simultan und wechselten jeweils in den Scharten die Führung. Wer schon einmal an einem Grat unterwegs war weiss, wieviel Zeit man einsparen oder eben verlieren kann mit der Seilhandhabung.
Die Taktik des simultanen Kletterns mit regelmässigem Wechsel im Vorstieg erlaubte es ihnen, schnell und effizient vorwärtszukommen. Wenn der eine im Vorstieg war und Entscheidungen treffen musste, konnte sich der andere mental erholen und einfach der Kletterlinie folgen.
Nach 1 Stunde und 52 Minuten waren sie bereits auf der Gipfelnadel und konnten somit als erste Seilschaft den Grat unter zwei Stunden klettern.
Schnell seilten sie sich über die Südwand ab, um in die Zahnscharte des Südgrates zu kommen. Von da waren es nochmal zwei Abseilstellen und ein kurzer Fussmarsch zum Einstieg des zweiten Grates. Auch diesen kletterten sie simultan, wobei Simon den Anfang machte bis zur Zahnscharte und Yannick den Rest bis zur Gipfelnadel im Vorstieg war. Sie liessen ein Seil in der Abseilstelle von der Gipfelnadel, um später Zeit zu sparen und weil sie den Ostgrat seilfrei klettern würden, mit Ausnahme der Schlüsselpassage. Um dieselbe Strecke zu klettern wie der Rekordhalter, wählten sie den Originaleinstieg zum Ostgrat, der etwas höher liegt als der Direkte Einstieg.
Gegen Ende des Ostgrates merkte Yannick die Erschöpfung, während Simon wusste, er würde im Abstieg nochmals sein Bestes geben müssen. Die individuellen Stärken der beiden Kletterer – Simon läuft schneller im Aufstieg und Yannick im Abstieg – spielte das Duo auch im Endspurt aus.
Um 13.48 waren Simon und Yannick nach einem emotionsgeladenen Rennen über die Geröllhalden wieder in der Hütte. Glücklich machten sie ein Selfie, um ihre Zeit festzuhalten. Sie hatten 5 Stunden und 53 Minuten gebraucht und damit einen neuen Rekord aufgestellt, über die drei Grate zu klettern mit der Salbithütte als Start und Ziellinie.
„Wenn einer von uns die Erschöpfung merkte, konnte die Energie des anderen ihn wieder aufstellen. Einer von uns war immer fit und konnte den anderen mitreissen.“
Simon und Yannick betonen, dass sie dieses Projekt allein nicht angegangen wären. Von der Idee zur Umsetzung hatten sie alles gemeinsam besprochen und geplant. Für sie war es von Anfang an ein Teamprojekt.
Die beiden verbindet eine langjährige Freundschaft und zahlreiche gemeinsame Touren. Sie kennen sich seit 15 Jahren und waren als Jugendliche im selben Kletterteam. Später kletterten sie ihre ersten gemeinsamen Touren in den Wenden, wie Elefantenohr und Jednicka und merkten schnell, dass sie sich in diesen psychisch anspruchsvollen Klettereien gegenseitig ergänzten und moralisch gut unterstützen konnten. So nahmen sie weitere grosse Touren in den Dolomiten in Angriff, wie die eintages onsight Begehung vom „Weg durch den Fisch“ an der Marmolada im Winter oder die Überschreitung von Ost nach West der Drei Zinnen, ebenfalls im Winter.
Beide betonen, dass sie sich für den anderen verantwortlich fühlen, dass sie sich gegenseitig disziplinieren aber sich nie unter Druck setzen. Das Team und die Sicherheit des anderen ist im Vordergrund, nicht die Leistung des Einzelnen. Sie können sich auf den anderen verlassen und übernehmen volle Verantwortung füreinander.
Zeit und Rekorde sind relativ. Sie verändern nicht unsere Welt. Aber der Teamgeist, den Simon und Yannick am Salbitschijen bewiesen haben, darf uns ein Vorbild sein und uns daran erinnern, dass man gemeinsam Grosses erreichen kann.