„Hall of Fame“ gilt als wahrscheinlich anspruchsvollste Mix-Route der Welt. Ron Koller hat sie vor acht Jahren entdeckt und eingerichtet. Bergführer und Profi-Alpinist Yannick
Glatthard ist nun die erste freie Begehung gelungen.
Erlebnisbericht von Yannick Glatthard
Seit Jahren beobachte ich „Hall of Fame“. Immer und immer wieder. Kann diese Route jemals frei geklettert werden? Und wie? Ist das ein Projekt für mich? Könnte ich das schaffen? Bei welchen äusseren Bedingungen ist eine Begehung überhaupt vorstellbar? Was muss ich mitbringen? Mir ist klar: „Hall of Fame“ verlangt und bietet alles. Psychisch, physisch, technisch.
„Hall of Fame“ ist seit Jahren in meinem Projekt-Kalender eingetragen. Noch nie hat alles gepasst. Höchst selten erlauben es die Bedingungen im Winter, diese herausfordernde Route zu klettern. Entweder steht oben kein Eiszapfen oder es hat im unteren Bereich zu wenig Eis. Auch im Winter 2023 sind die Verhältnisse sind nie wirklich gut. Zu warm die Temperaturen, kein Eis. Kaum vorstellbar, dass eine Begehung im klappen könnte. Doch dann: nach ein paar sehr kalten Nächten ragt am 29. Januar der Eiszapfen endlich aus dem Felsen. Ich weiss: jetzt tut sich eine Möglichkeit auf für mein Projekt!
Ich spüre Nervosität. Bleibt das Zeitfenster mit kalten Temperaturen lange genug offen? In den ersten Februar-Tagen organisiere ich alles für den Start des Projekts. Ron Koller, der Erschaffer der Route, und Diego Schläppi, Bergsteiger, Fotograf und Filmer sind mit von der Partie. Ron ist seit Jahren Wegbegleiter, Trainer, Mentor und ein sehr guter Freund. „Hall of Fame“ gemeinsam mit ihm zu durchsteigen macht mich glücklich.
Hoch motiviert und voller Energie steigen wir in die Route ein. Im 2. Versuch das Dach. Die folgende Seillänge M10 ist streng, ich finde die Hooks nicht, muss mehrmals zurückklettern, sehe die Lösung nicht auf Anhieb. Dann fällt mein Eisgerät kurz vor dem Stand. Abbruch der Übung. Zuviel Energie verbraucht, Ärger. Trotzdem: das Gefühl für die Route ist da, eine effizientere Lösung für die 3. Seillänge gefunden. Ich weiss jetzt genau, um was es geht.
Zurück im Talboden, Wettercheck für die nächsten Tage. Temperaturschwankungen machen Sorge: ist der Eiszapfen zu gross und zu schwer, fällt er runter. Ist er zu klein, kann man ihn kaum klettern. Das Dilemma: unten brauche ich dickeres Eis, oben darf der Zapfen nicht grösser werden.
Zweiter Versuch, eine knappe Woche später, gut vorbereitet, optimal erholt. Ich bin bereit für „Hall of Fame“. Die erste Seillänge klappt schnell, das 30 Meter Dach M13 klettere ich in etwa 20 Minuten, M10 duchklettere ich bis zum Stand problemlos. Ist heute ist der Tag der Tage. Bald liegen die schwierigen Passagen hinter mir. Vor mir noch M8, M6 Seillängen, eigentlich gut machbar.
Raus auf den Eiszapfen nach dem dritten Stand, W5, technisch normalerweise nicht allzu schwierig. Knappe 2 – 10 cm Eisdicke machen die Absicherung enorm schwierig. Höchste Konzentration ist gefragt, mental anstrengend. Am Eisvorhang: ich erreiche das Eis mit meinen Pickeln nicht, in der Mixed-Variante gleich daneben scheitere ich am brüchigen Fels. Was ist zu tun? Die Schultern von Ron, ein Schulterstand mit Steigeisen. Aus dieser Zirkus-Position erreiche ich schliesslich den Eisvorhang. Die Übung kostet Nerven und Kraft. 100 m weiter durch steilen Schnee zum letzten Aufschwung, dann eine M8-Länge mit brüchigem Fels und schlechten Schlaghacken. Ich entscheide mich für die 6a+ Kletterei 3 m daneben, ohne Steigeisen und Pickel, alles selbst abgesichert.
Jetzt das Herzstück von „Hall of Fame“. Der riesige Eiszapfen ragt aus einem Felsloch 30 Meter senkrecht herunter, 15 Meter freihängend. Gigantisch. Ich weiss: hier zu stehen ist der Lohn für meinen grossen Kraftakt. Ist das die anspruchsvollste Mix-Route der Welt? So vielseitig, so grosse technische Schwierigkeiten und dazu dieser einzigartige Eiszapfen – wo auf der Welt findet man etwas Vergleichbares?
Ich komme gut an den Zapfen ran, trotz viel Wasser, treffe auf röhriges Eis, es gibt viel abzuschlagen. Der Zapfen ist technisch schwierig, aber gut absicherbar. Erlebnis: gewaltig. Kulisse: Eis, Wasser, unbeschreiblich. Zustand: müde. Gefühl: Kälte, Freude, Glück pur, Dankbarkeit. Und die Gewissheit: heute bringen wir die „Hall of Fame“ nach Hause.
Der Rest ist schnell erzählt: zwei Traversen M7, nicht angenehm, abschüssige Tritte. Es muss zügig gehen, die Dunkelheit sitzt uns im Nacken. 18.00 Uhr: Ausstieg aus der Route.
Alles hat (fast) reibungslos funktioniert. Der Erfolg ist nur im Team möglich. Ein grosses „Danke!“ an Ron Koller und Diego Schläppi!
Yannick Glatthard
27. Februar 2023